Nachruf

Wir nehmen Abschied von Brocken-Benno

Botschafter des Grünen Bandes in Sachsen-Anhalt gestorben

 

Benno Schmidt aus Wernigerode – an seinen Nachnamen erinnern schon lange nur noch Zeitungsartikel und höchst offizielle Reden, der Form halber eben. In Wahrheit jedoch, das wissen wir alle, ist der korrekte Name dieses außergewöhnlichen Wanderers einzig „Brocken-Benno“. Dies ist ein Nachruf auf einen Menschen, der gegangen ist, und auf ein Symbol, das weiterleben wird.

Brocken-Bennos Bekanntheit erstreckt sich über die gesamte Republik, gewinnt im Harz gewaltig an Höhe und gipfelt, nun ja, auf dem Gipfel, 1.142 Meter über N.N. auf dem höchsten Berg Norddeutschlands. Der Brocken war Bennos Sinn, sein Grund, sein persönliches Dafür auf das eines jeden Menschen Wofür.

Eine „verlorene Zeit“ nannte er folglich die 28 Jahre, in denen er nicht auf den Brocken wandern konnte, weil Staatssicherheit, DDR-Grenztruppen und russisches Militär ihn als Posten an der innerdeutschen Grenze besetzt hielten. 28 Jahre, in denen die Menschen aller Himmelsrichtungen wehmütig zum Berg hinaufschauten und so nah etwas sahen, das fern war wie der Mount Everest im Himalaya.

Als die Mauer schon gefallen, der Harzgipfel aber immer noch Sperrgebiet war, gehörte Brocken-Benno zu den rund einhundert Harzern, die am 3. Dezember 1989 ihren Berg erstürmten und gewaltfrei unter der Fahne „Freie Bürger, Freier Brocken“ die Soldaten zum Öffnen des Tores drängten. „Das war ein Glücksgefühl, das vergesse ich nie. Auf dem Gipfel haben wir getanzt und gelacht,“ sagte Brocken-Benno.

Als Kind und junger Mann war er bereits einige Male auf dem Brocken gewesen, bis zur Schließung 1961. Durch sein Dachfenster in Wernigerode konnte er seinen Berg immer sehen, ihn rufen hören. Die Sehnsucht war Bennos scheinbar ewiger Gefährte, denn zu hoffen wagte er nicht, den Gipfel jemals wieder zu erwandern. Diese Sehnsucht ebbte auch nach der Brockenöffnung nie mehr ab. Er wollte die verlorene Zeit nachholen. Nach 9.000 Wanderungen, fast täglich, bei jedem Wetter, hörte er auf zu zählen, aber nicht zu wandern. Niemand war öfter auf dem Brocken.

„Bis zu fünf Mal an einem Tag habe ich geschafft. 60 Kilometer in zwölfeinhalb Stunden. Hatte ich tagsüber keine Zeit, bin ich sogar nachts gegangen und dann hat mir das ebenso einen Spaß gemacht.“

Ernennung zum Botschafter für das Grüne Band Sachsen-Anhalt

Weil ihn auf seinem Weg bergauf und bergab immer mehr Wandernde fragten, wo denn die Grenze einst verlief, kam Brocken-Benno um 2003 auf die Idee, einen Grenzwanderweg durch den Harz zu initiieren. „Da machte ich mich daran und suchte mir die Landkarten zusammen, die Wege kannte ich ja", erinnerte sich Benno, als er 2018 zum Botschafter für das Grüne Band in Sachsen-Anhalt ernannt wurde (s. Foto). „Es ist mir eine Ehre, Begeisterung und Akzeptanz für das Grüne Band weiter zu fördern“, so Benno damals.

Den größten Dank können wir ihm wohl damit erweisen, wenn wir ihn nicht vergessen. Denn Brocken-Benno in Erinnerung zu halten, heißt immer auch, an die Trennung eines Landes und die Geschichte eines bemauerten Berges und seiner friedlichen Befreiung zu erinnern und Bennos unbeugsame Demut vor der Schönheit der Natur zu bewahren.

Brocken-Benno war überdies Botschafter des Harzes und Botschafter des Brockens. All diese Ehren wurden ihm nicht etwa zuteil, weil er sich nach neuen Aufgaben sehnte, sondern weil er sie längst mit Überzeugung, Hingabe und unersetzlicher Fachkenntnis erfüllte. Dafür wurde er ausgezeichnet mit der Ehrennadel des Landes Sachsen-Anhalt (2009), dem Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt (2018) und dem Bundesverdienstkreuz am Bande (2020).

Sein Tod am 23. Dezember 2022 bedachten Nachrichtenredaktionen bundesweit: Ob Stuttgarter Zeitung, Schwarzwälder Bote, Spiegel, Stern, FAZ, Zeit oder Welt, Ostfriesen-Zeitung, Frankenpost, Süddeutsche, sie alle und noch viele mehr verkündeten, was sich wohl ein jeder mindestens einmal während der Weihnachtsfeiertage 2022 sagen hörte: „Brocken-Benno ist tot.“

Benno Schmidt erlag im Alter von 90 Jahren einem Krebsleiden. Er hinterlässt uns einen Berg.